DOI – der Dialogorientierungs-Index
18.06.2010. at 09:57 2 Kommentare
Seit einigen Wochen beschäftige ich mich wieder intensiv mit der Dialogorientierung in der Online-PR. Eine wesentliche Frage ist: Was ist denn eigentlich die Dialogorientierung? Und wie kann ich feststellen, ob nun ein Instrument der Online-PR mehr oder weniger dialogorientiert ist?
Für den Zweck meiner Dissertation habe ich Dialogorientierung mit Hilfe von drei wesentlichen Strukturdeterminanten operationalisiert. Der Dialogorientierungs-Index (DOI) ergibt sich also aus der Betrachtung von folgenden drei Dimensionen: User-Kontrolle (Wie leicht ist es für User, die Kommunikator-Rolle zu übernehmen?), Offenheit (Wie leicht ist es, den Kommunikationsprozess als Dritter von außen zu beobachten?) und Konnektivität (Wie leicht entstehen Verbindungen zwischen Usern oder deren Beiträgen?).
Für die Strukturdeterminanten User-Kontrolle, Offenheit und Konnektivität habe ich jeweils 3 Stufen (Ausprägungen) definiert, durch die sich Online-Dienste aus Sicht der dialogorientierten Online-PR unterscheiden.
Strukturdeterminante 1: User-Kontrolle
- keine User-Kontrolle: Wenn eine Online-Anwendung derart gestaltet ist, dass User die Kommunikator-Rolle gar nicht oder nur dann wahrnehmen können, wenn der PR-Treiber dies im Einzelfall aktiv zulässt, haben User keine Kontrolle über die Kommunikation.
- mittlere User-Kontrolle: Wenn User generell Voraussetzungen für die aktive Teilnahme an einem Kommunikationsprozess erfüllen müssen, im Einzelfall aber ungehindert kommunizieren können, dann verfügen sie über mittlere Kontrolle über den Kommunikationsprozess.
- hohe User-Kontrolle: Ist hingegen ein Instrument der Online-PR jedoch so gestaltet, dass User ihre Rolle als Kommunikator ohne Erfüllung von generellen Voraussetzungen und ohne aktives Zulassen des PR-Treibers im Einzelfall wahrnehmen können, so verfügen sie über hohe User-Kontrolle.
Strukturdeterminante 2: Offenheit
- keine Offenheit: Keine Offenheit (geschlossene Kommunikation) liegt vor, wenn ein zweiseitiger Kommunikationsprozess nicht von Dritten rezipiert werden kann.
- mittlere Offenheit: Von einer mittleren Offenheit (eingeschränkt offene Kommunikation) wird gesprochen, wenn die Rezeption eines zweiseitigen Kommunikationsprozesses an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist.
- hohe Offenheit: Ein zweiseitiger Kommunikationsprozess weist hohe Offenheit auf, wenn jeder beliebige Internet-User diesen ohne Erfüllung von Voraussetzungen wahrnehmen kann.
Strukturdeterminante 3: Konnektivität
- keine Konnektivität: Ein Online-Dienst verfügt über keine Konnektivität, wenn Verbindungen zwischen Usern in Form von Kontaktlisten kein zentraler Bestandteil sind und beständige Verbindungen zwischen verstreuten Inhalten nur mit erheblichem Aufwand realisiert werden können.
- mittlere Konnektivität: Ein Online-Dienst weist mittlere Konnektivität auf, wenn entweder Kontaktlisten zentraler Bestandteil sind, oder Mechanismen zur Verfügung stehen, die beständige Verbindungen zwischen verstreuten Inhalten automatisiert herstellen oder solche Verbindungen unterstützen.
- hohe Konnektivität: Ein Online-Dienst verfügt über eine hohe Konnektivität, wenn er sowohl Kontaktlisten als auch Verbindungs-Mechanismen für verstreute Inhalte anbietet.
Wenn man den Grad der Dialogorientierung von Online-Instrumenten bestimmen will, muss jede Strukturdeterminante analysiert und einer der drei Stufen zugeordnet werden. Insgesamt gibt es 27 unterschiedliche Möglichkeiten der Kombination, die der untenstehenden Tabelle entnommen werden können. In der Praxis ist nicht davon auszugehen, dass alle Kombinationsmöglichkeiten für konkrete Realisierungen von Online-Diensten Anwendung finden, aber alle sind zumindest theoretisch möglich.
In der Spalte ganz rechts wurde jede der Kombinationsmöglichkeiten auf eine Stufe der Dialogorientierung reduziert. Dies ist eine Vereinfachung: Letztlich dient die Betrachtung der drei Strukturdeterminanten dazu, eine von drei Stufen der Dialogorientierung zu ermitteln.
Die 27 Kombinationsmöglichkeiten wurden mit Hilfe des Dialogorientierungs-Indexes (DOI) den vier Stufen der Dialogorientierung zugeordnet. Jede Ausprägungsstufe einer Strukturdeterminante wurde für die Index-Bildung mit einer Punkteanzahl gleichgesetzt:
- keine Ausprägung = 0 Punkt
- mittlere Ausprägung = 1 Punkte
- hohe Ausprägung = 2 Punkte
Für jede Kombinationsmöglichkeit wurde die Punkteanzahl aller drei Strukturdeterminanten addiert und einer Stufe der Dialogorientierung zugeordnet:
- 0 Punkte = keine Dialogorientierung, Monolog (wenn jeder der drei Strukturdeterminanten einen Null-Wert aufweist, ist keine Dialogorientierung gegeben und daher handelt es sich um ein monologisches PR-Instrument)
- 1-2 Punkte = geringe Dialogorientierung
- 3-4 Punkte = mittlere Dialogorientierung
- 5-6 Punkte = hohe Dialogorientierung
Abbildung: Dialogorientierungs-Index (DOI) anhand der Ausprägungen der Strukturdeterminanten
User-Kontrolle | Offenheit | Konnektivität | DOI | Stufe der Dialogorientierung | |
1 | – | – | – | 0 | null (Monolog) |
2 | – | – | mittel | 1 | gering |
3 | – | mittel | – | 1 | gering |
4 | mittel | – | – | 1 | gering |
5 | – | – | hoch | 2 | gering |
6 | – | hoch | – | 2 | gering |
7 | – | mittel | mittel | 2 | gering |
8 | hoch | – | – | 2 | gering |
9 | mittel | – | mittel | 2 | gering |
10 | mittel | mittel | – | 2 | gering |
11 | – | hoch | mittel | 3 | mittel |
12 | – | mittel | hoch | 3 | mittel |
13 | hoch | – | mittel | 3 | mittel |
14 | hoch | mittel | – | 3 | mittel |
15 | mittel | – | hoch | 3 | mittel |
16 | mittel | hoch | – | 3 | mittel |
17 | mittel | mittel | mittel | 3 | mittel |
18 | – | hoch | hoch | 4 | mittel |
19 | hoch | – | hoch | 4 | mittel |
20 | hoch | hoch | – | 4 | mittel |
21 | hoch | mittel | mittel | 4 | mittel |
22 | mittel | hoch | mittel | 4 | mittel |
23 | mittel | mittel | hoch | 4 | mittel |
24 | hoch | hoch | mittel | 5 | hoch |
25 | hoch | mittel | hoch | 5 | hoch |
26 | mittel | hoch | hoch | 5 | hoch |
27 | hoch | hoch | hoch | 6 | hoch |
Die drei Strukturdeterminanten User-Kontrolle, Offenheit und Konnektivität werden hinsichtlich ihres Einflusses auf die Dialogorientierung gleich stark gewichtet. Der Grund dafür ist, dass für das vorliegende Modell der dialogorientierten Online-PR angenommen wird, dass alle drei Merkmale etwa den gleichen Einfluss auf den Grad der Dialogorientierung haben.
Wenn man nun den Grad der Dialogorientierung mit Hilfe des oben dargestellten DOI berechet, ergeben sich insgesamt 9 Kombinationsmöglichkeiten der Strukturdeterminanten, die als geringe Dialogorientierung gewertet werden, 13 weitere, die mit mittlerer Dialogorientierung assoziiert werden und 4, die als in hohem Ausmaß dialogorientiert gelten.
Zusätzlich ist in der Zeile 1 der Fall dargestellt, in dem alle drei Strukturdeterminanten einen Null-Wert aufweisen: Wenn es keine User-Kontrolle, keine Offenheit und keine Konnektivität gibt, so handelt es sich um ein Instrument mit keiner Dialogorientierung und folglich um einen monologischen Web-Dienst.
Die Fälle, in denen die Strukturdeterminante User-Kontrolle einen Null-Wert aufweist, scheinen grundsätzlich nicht dialogorientiert sein zu können, da unterstellt werden könnte, dass sie eine wesentliche Bedingung für Dialogorientierung nicht erfüllen: Der Rollentausch zwischen Rezipient und Kommunikator ist fraglich. Es gibt jedoch zwei Gründe, warum trotzdem eine Dialogorientierung vorliegen kann: Erstens bedeutet „keine User-Kontrolle“ nicht, dass die Mitglieder der Teilöffentlichkeiten überhaupt nicht aktiv kommunizieren können – sie können die Kommunikator-Rolle dann wahrnehmen, wenn der PR-Treiber dies im Einzelfall zulässt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Beiträge in Foren oder Blog-Kommentare manuell freigeschaltet werden. Und zweitens ist auch dann eine Dialogorientierung gegeben, wenn der Web-Dienst selbst zwar keinen Rollentausch zulässt, aber durch das Vorhandensein von Konnektivität in Form von Verbindungs-Mechanismen ein Dialog an anderer Stelle ermöglicht wird. Dies ist zum Beispiel dann gegeben, wenn Share-Buttons eine Diskussion über einen Inhalt mittels anderer Online-Dienste wie Facebook oder Twitter ermöglichen.
Mich würde interessieren, was ihr, geschätzte LeserInnen dieses Blogs, vom DOI haltet. Ist das eine sinnvolle Möglicheit, Web-Dienste aus PR-Sicht zu beschreiben? Haben die strukturellen Voraussetzungen (Strukturdeterminanten) etwas mit PR-Zielen zu tun?
Demnächst hier im Blog: Dialogorientierung und Beziehungsentwicklung.
Entry filed under: Dialog, DOI, Kommunikationsmodell, Online-PR, Theorie.
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[…] Ausschnitte und Vorüberlegungen aus meiner Dissertation habe ich ja schon 2010 in diesem Blog veröffentlicht. […]
2. Befund 1: Extravertierte und Internet-Vielnutzer mögen hohe Dialogorientierung « blog.sirac.us | 30.11.2011. um 08:27
[…] zwischen Nutzertypen und der Wahl eines eher monologischen oder stärker dialogorientierten (siehe DOI) Werkzeugs der Online-Kommunikation? Nutzertypen habe ich dabei an zwei Kriterien festgemacht: (a) […]